„Ich habe einen Freund. Peter. Er liebt Bergsteigen. Er ist Kletterer. Und er schreibt Bücher. Übers Bergsteigen. Er macht ausgedehnte und erfolgreiche Lesereisen und ist in der Bergsteigerszene eine anerkannte Persönlichkeit. Als sein Buch „Bernd Arnold – Ein Grenzgang“ erschien, habe ich es lesen müssen, obschon ich mich nun so gar nicht fürs Bergsteigen interessiere. Das Buch erzählt die Lebensgeschichte einer Bergsteigerlegende, von der ich natürlich noch nie gehört hatte. Ich kannte keinen Menschen, der in diesem Buch Erwähnung fand, keinen Berg und kein Tal, nichts, was dort erzählt wurde war mir bekannt und nichts interessierte mich. Und doch war die Geschichte so gut komponiert und erzählt, so gut illustriert zudem, dass ich die 260 Seiten gelesen habe. Ich war Peter das irgendwie schuldig. Es musste mich zumindest interessieren, was ihm doch so wichtig war. Ich war ihm die Teilnahme an seinem Leben schuldig. Obgleich ich es nicht teile. Heute gerade liest er in Dresden. Immer wieder habe ich mich bei der Lektüre gefragt, was Menschen dazu bewegt, sich den unsäglichen Strapazen einer Bergbesteigung auszusetzen. Sich entsetzliche Anstrengungen zuzumuten und lebensbedrohlichen Gefahren auszuliefern. Was treibt sie, zu frieren und zu schwitzen, sich zu verletzen, zu darben und zu leiden. Um des Triumphes Willen, irgendwann von einem Berggipfel aus in die Landschaft zu gucken? Ich kann es nicht verstehen! Peter schon. Und so sind – und bleiben – wir verständnislose Freunde. Es ist ja oft so. Gudrun näht Röcke und Jacken, die sie so auch kaufen könnte. Sie quält sich mit den Schnitten, trennt Nähte auf und näht sie neu, probiert an und ändert wieder. Sie könnte es einfacher haben. Ich kann sie nicht verstehen. Und ich liebe sie trotzdem. Ich lasse selbst mein Brot bei Bäcker schneiden, um es nicht selbst schneiden zu müssen. Ich kaufe mir einen Pullover, wenn ich einen brauche. Und stünde mir der Sinn nach einer Aussicht, ich nähme eine Seilbahn. Für Peter unvorstellbar.“
Aus berufenem Munde
Eine nachdenkliche Betrachtung des Autors und Publizisten Dr. Norbert Hilbig zu „Bernd Arnold – Ein Grenzgang“: